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Beweislastumkehr?

05.04.2010 | Allgemein

Die ungeklärte Frage der Haftung für eventuelle Schäden, die nach einer Aufnahme des Betriebs eines Geothermiekraftwerks auftreten können, ist einer der Gründe, die zur Verunsicherung der betroffenen Bürger in nicht unerheblichem Umfang beitragen.

In der RHEINPFALZ (Pfälzer Tageblatt, Ausgabe Rheinschiene Nr. 78 vom Samstag, den 03. April 2010, Seite 23) wird nun Steffen Weiß, der Vorsitzende der CDU Schaidt, zum Thema Beweislastumkehr zitiert. Laut Herr Weiß habe das Landesamt für Geologie und Bergbau eine Aufzeichnung der seismischen Ereignisse in der Umgebung der Anlage und DIN-genormte Grenzwerte als eine der Auflagen für den Betreiber angekündigt. Werde der Grenzwert der DIN 4150  überschritten, liege automatisch ein „Bergschaden“ vor, der wiederum automatisch ein Entschädigungsrecht für betroffene Hausbesitzer begründe, womit der Betreiber in der Beweispflicht wäre, dass ein bestimmter Schaden kein Bergschaden sei, wird Herr Weiß weiter zitiert. Direktor Hans Peter Ehses, Leiter des Landesamtes für Geologie und Bergbau, bestätigte laut dem Zeitungsbericht gegenüber der RHEINPFALZ diese Einschätzung. Erstaunlich. Denn wir müssen bedauerlicherweise feststellen, dass diese Einschätzung schlicht und ergreifend falsch ist. Ob die Äußerung des Landesamtes für Geologie und Bergbau bewußt plaziert wurde, um die betroffenen Bürger ruhigzustellen oder einfach auf mangelndem Problembewußtsein beruht, wissen wir nicht.

Fakt ist jedenfalls, dass allein die Überschreitung der Grenzwerte nicht zu der erwünschten Beweislastumkehr führt, wie die Aussagen der Behördenvertreter im Artikel der RHEINPFALZ dies suggerieren wollen.

Bestreitet der Betreiber, dass die Erschütterungen (Erdbeben) von der Geothermieanlage verursacht wurden, und behauptet, dass sie von einem Erdbeben natürlicher Art herrühren, hilft die DIN 4150 nämlich keinen Schritt weiter. Denn die DIN 4150 stellt lediglich einen Zusammenhang zwischen Erschütterungen als solchen einerseits und der Wahrscheinlichkeit von Schäden in Abhängigkeit von der erschütterungsbedingten Schwingungsgeschwindigkeit andererseits her. Zur Ursache der Erschütterungen trifft die DIN 4150, welche Erschütterungen im Bauwesen zum Gegenstand hat, keinerlei Aussage. Dies bedeutet, dass die Ursache der Erschütterungen ungeachtet der DIN 4150 vom Geschädigten jedenfalls dann zu beweisen ist, wenn die Bergschadensvermutung nicht gilt.

Erst wenn feststeht, dass die Geothermieanlage die Erschütterungen ausgelöst hat, kommt ansonsten überhaupt die Frage auf, ob dem Geschädigten die Beweiserleichterungen der DIN 4150 zugute kommen können. Hierzu bedarf es dann – anders als für die Einrichtung des Messnetzes als solchem – allerdings nicht der Anordnung der Geltung der DIN 4150 in irgendwelchen Auflagen durch die Bergbehörde, wobei ohnehin bezweifelt werden muß, daß das Bergamt verbindliche Beweislastregeln mit unmittelbarer Wirkung zugunsten speziell der Bürger im Bescheid verankern darf. Denn die DIN 4150 würde im Streitfall sowieso von den Gerichten mitberücksichtigt werden. Der BGH hält übrigens ohnehin nicht starr an den Grenzwerten der DIN 4150 fest: „Erschütterungen, die einen erheblichen Sachschaden an einem Gebäude des beeinträchtigten Grundstücks verursacht haben, sind auch dann wesentlich im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB, wenn die Grenzwerte für Schwingungsgeschwindigkeiten eingehalten oder sogar unterschritten worden sind.“ (Urteil vom 20.11.1998, V ZR 411/97). Umgekehrt ist auch der Beweis möglich, dass die Schäden trotz Überschreitens der Grenzwerte nicht auf Erschütterungen, sondern auf andere Ursachen zurückzuführen sind. Allerdings werden im Rahmen des § 906 BGB nur erhebliche Beeinträchtigungen ausgeglichen, da bei § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nur einen enteignungsentschädigungsähnlichen Ausgleichsanspruch begründet und keinen Schadensersatzanspruch vermittelt (BGH, a.a.O., ebenso Urteil vom 19.09.2008, V ZR 28/08).

Einen echten Schadensersatzanspruch kann der Geschädigte aber auf § 114 Abs. 1 BBergG stützen. § 114 Abs. 1 BBergG ist seinem Umfang nach gegenüber dem § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ohnehin der weitergehende Anspruch, weil er auf Schadensersatz gerichtet ist, während sich der Umfang des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs nach den Grundsätzen richtet, die für die Bemessung einer Enteignungsentschädigung gelten (BGH, Urteil vom 20.11.1998, V ZR 411/97). Eine Anspruchsbeschränkung der Höhe nach kommt beim Anspruch nach § 114 Abs. 1 BBergG nicht in Betracht, wenn Ersatz wegen Beschädigung eines Grundstücks und seines Zubehörs verlangt wird (§ 117 Abs. 1 Nr. 2, 2. Halbsatz BBergG).

Eine Beweislastumkehr wäre – unabhängig von der Rechtsgrundlage – nur dann hilfreich, wenn sie sich bereits auch auf die Ursache der Erschütterungen beziehen würde. Für den Anspruch aus § 114 BBergG wäre die Bergschadensvermutung (§ 120 BBergG)  der richtige Ansatz. Allerdings wird in der Literatur – mit den verschiedensten Argumenten – die Anwendbarkeit des § 120 BBergG für Geothermievorhaben bislang überwiegend verneint; Rechtsprechung hierzu gibt es noch nicht. Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten um vorauszusehen, dass sich der Betreiber in einem Streitfall auf den Standpunkt stellen würde, dass die Bergschadensvermutung bei Geothermievorhaben nicht gelte.

Wir wollen an dieser Stelle der Frage, ob die Bergschadensvermutung hier gilt oder nicht, allerdings gar nicht weiter nachgehen.

Wir halten jedenfalls fest, dass die Sicherheit, in der uns die Vertreter des Landesamtes für Geologie und Bergbau mit ihren in der RHEINPFALZ wiedergegebenen Äußerungen wiegen wollen, aus den oben dargelegten Gründen nicht nur trügerisch ist, sondern überhaupt nicht existiert. Vielmehr stehen die betroffenen Bürger angesichts hochrisikobehafteter Technik einerseits und ungeklärten Haftungsfragen andererseits nach wie vor im Regen.

Unabhängig von allen existierenden Beweislastregeln bleibt selbst dann, wenn die – zumal wiederlegbare – Bergschadensvermutung gelten würde, darüber hinaus die Frage offen, wie ein einzelner Bürger einen erlittenen Schaden gegen einen Betreiber, hinter dem ein finanzkräftiger Großkonzern steht, überhaupt effektiv, also zügig und ohne auf Schäden ganz oder auch nur teilweise sitzenzubleiben, durchsetzen kann. Jahrelange kostenträchtige Prozesse durch alle Instanzen mit zahlreichen Gutachten sind nichts Ungewöhnliches.

Hier kann unseres Erachtens daher nur ein staatlicher Garantiefonds weiterhelfen, der schnell und unbürokratisch zahlt, statt Ursachen anzweifelt und Bedenken wälzt.

An dieser Stelle erwarten wir nicht die unmaßgebliche Einschätzung der zivilrechtlichen Rechtslage seitens von in einem späteren Schadensersatzprozeß unbeteiligten Behörden, sondern vielmehr klare Aussagen und Garantien durch die verantwortlichen Politiker.

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